Roger Dannenhauer im Gespräch

Roger Dannenhauer ist einer der drei Autoren unseres Buchprojektes TurnAround. Wenn Projekte kopfstehen und klassisches Projektmanagement versagt. Seit 2003 arbeitet er als Transformations-Coach und Projektleiter zur Entwicklung von Identität, Leadership, Kultur und Marken. Diese Woche erschien sein erstes Buch GEISTES HALTUNG Wirtschaftlicher Erfolg in einer neuen Zeit. Sein Kernthema auch in unserem Buchprojekt ist die Geistes-Haltung, die bisher kaum berücksichtigt wird.

Die Geistes-Haltung ist ein zentraler Faktor im Buch TurnAround. Wenn Projekte kopfstehen und klassisches Projektmanagement versagt. Wieso ist das Thema so wichtig? Und was heißt Geistes-Haltung für dich?

Meine Erkenntnis aus über 20 Jahren Projektgeschäft: Methoden entfalten ihre Wirkung in Kombination mit der Geistes-Haltung der Anwender! Doch meine Beobachtung ist: Unternehmen wenden immer mehr Methoden an und werden zeitgleich immer chaotischer, es findet also ein kontinuierlicher Verschlimmbesserungsprozess statt. Dies ist auf eine Entwicklung der Geistes-Haltung in eine destruktive Richtung zurückzuführen. Der Geist (die Wahrnehmungsfähigkeit) wird immer vernebelter und die Haltung (das Rückgrat, die Handlungsfähigkeit) verschlechtert sich kontinuierlich.

Du sprichst von einer destruktiven und einer konstruktiven Geistes-Haltung, die ganz entscheidend sind für den Projekterfolg – wie definierst du diese beiden Haltungen?

Konstruktiv oder destruktiv bezieht sich auf die Wirkung und Folgewirkungen des eigenen Denkens und Handelns im Augenblick. Ein reiner Geist mit Haltung wäre in der Lage, die Energie – also die Ursache – hinter dem eigenen Denken (und dem anderer) zu erkennen und die Wirkung und Folgewirkung (Auswirkung, Erfolg oder Schaden) vorherzusehen. Dadurch ist man prinzipiell in der Lage destruktives Sein und destruktive Handlung zu erkennen und gegebenenfalls zu vermeiden.

Meinst du damit, dass Menschen fähig sein müssen, ad hoc ihre eigene Motivation für ein bestimmtes Denken besser zu reflektieren – um so objektivere Entscheidungen treffen zu können?

Ich würde es umdrehen: Wenn Menschen dies nicht können, also die eigenen destruktiven Prägungen nicht kennen und somit nicht steuern können, sind die Entscheidungen eher ein Zufall als eine freie Entscheidung. Ganz streng genommen kann ein Mensch, ohne das Thema Geistes-Haltung zu verstehen, kein Projekt, Unternehmen oder gar ein ganzes Europa steuern.

Beispiele konstruktiver Geistes-Haltung im Projekt wären z. B.: Geduld, innere Ruhe, Freiheit, Mut, Integrität, Verantwortlichkeit, authentische Ehrlichkeit – aus der sich dann Methoden oder ganze Projekte optimal entfalten.

Typische Beispiele dafür wären:

  • a) Ein Projektmanager hat anhand der „Early Warning Signs“ erkannt, dass sein Projekt in einer Schieflage ist. Was er jetzt zusätzlich braucht, ist der Mut, sich das einzugestehen und sich beispielsweise seinem Vorgesetzten oder Auftraggeber zu offenbaren.
  • b) Wenn der Projektleiter mutig genug war, mit einer Übersicht, etwa dem Project Square, zu seinem Vorgesetzten zu gehen und Unterstützung einzufordern, dann braucht er aber auch einen Chef mit der richtigen Geistes-Haltung: einen mit der Verantwortlichkeit und inneren Ruhe, der auch bereit ist, den Projektmanager zu unterstützen (z. B. in dem er externe Hilfe holt), um das Projekt zu retten.

Eines ist dabei klar: Die Methode alleine (wie beispielsweise der Project Square) kann nie das Problem lösen. Die Methode entfaltet ihre Wirkung nur in Kombination mit der Geistes-Haltung der Menschen, die die Methoden anwenden.

Beispiele für destruktive Geistes-Haltungen im Projekt sind: Druck, Frustration, Kampf gegen Windmühlen, Chaos, Harmoniesucht, Unehrlichkeit, Manipulation, Ignoranz, Politik, Taktik, Verkaufstalent und Rhetorik, in deren Energiefeld sich Methoden und Projekte üblicherweise abspielen und die dadurch Tendenz zu Schieflage haben.

Alle Menschen sind unbewusst (durch den rationalen Verstand limitiert) mal konstruktiv, mal destruktiv. Negative Destruktivität (z. B. Frustration) ist relativ offensichtlich. Deshalb ist positive Destruktivität (rosa Sonnenbrille, Harmonie, politisch korrekte Nettigkeit) viel tückischer.

Kannst du hier ein Beispiel nennen?

Wenn wir uns die vielen Talk-Shows und das politische Rumgesäusel anschauen, dann müsste so langsam auffallen, dass wir eine nett plaudernde Wohlstandsgesellschaft sind. Unternehmen und Projekte laufen aber nun mal schief – und da ist kaum noch jemand, der rechtzeitig die Wahrheit sagt. Die, die das gemacht haben, wurden über die letzten 20 Jahre entlassen. Deshalb haben sich die Menschen zu scheinbar stressresistenten, motivierten, teamorientierten und rhetorisch geschickten Mitarbeitern entwickelt – zum Schaden aller: der Projekte wie der Menschen, die darin arbeiten.

Wie unterscheidest du Unternehmenskultur und Geistes-Haltung? Das, was du beschreibst, scheint mir oft nahe beieinander zu liegen.

Die Geistes-Haltung prägt das Denken. Denken wird zu Handlung, Wirkung und Folgewirkung. Aus Geistes-Haltung entsteht also Realität. Spirituell ausgedrückt wird so Geist zu Materie – aber nicht als Hokuspokus, sondern ganz real über die Handlungen und Wirkungskette. Eine der vielen Realitäten, die in Unternehmen daraus entsteht, ist die Unternehmenskultur. Organisationsentwickler glauben, man könne Kultur theoretisch als Soll-Modell entwickeln. Kultur sind nicht diese Fahnen, auf denen glückliche Menschen gemeinsam auf Segelbooten die Segel hochkurbeln. Die Kultur ist aus meiner Sicht nur die im Alltag gelebte und erlebte Realität – nur das zählt.

Untransformierte Menschen (also Menschen die keine bewusste Transformation ihres Denkens und Handelns erlebt haben), erkennen weder die tiefe Ursache noch die weit reichenden Folgen ihres Denkens und Handelns im Augenblick. Aus destruktiven Gedanken im Jetzt entsteht destruktive Wirkung in der Zukunft. An der Wirkung kann man also die Geistes-Haltung erkennen.

Was für Auswirkungen hat denn die Geistes-Haltung ganz konkret in einem TurnAround-Projekt?

Wenn ein Projekt in Schieflage ist, ist dies der Ausdruck der Geistes-Haltung im System, der Führungsspitze und der Schlüsselpersonen. Ein TurnAround oder eine Rettung von Krisen ohne die Geistes-Haltung zu entwickeln, ist im Grunde Kosmetik. Durch eine Entwicklung der Geistes-Haltung (wie wir das in solchen Situationen als Standard definieren werden) prägt sich eine konstruktive, wirkungsvollere Kultur. Also der Nährboden, auf dem dann alle zukünftigen Projekte besser laufen, nicht nur das TurnAround-Projekt. Im Grunde bräuchte man für diesen Schritt noch nicht einmal auf eine solche Projekt-Krise warten; man könnte die Geistes-Haltung auch pro-aktiv entwickeln – denn ca. 70 % aller Projekte laufen ja nicht optimal.

Die Stellschrauben in einem TurnAround-Projekt sind

  • a) zu 30-50 % die Struktur, Prozesse, Kommunikation, Methoden.
  • b) aber 50-70 % macht die Geistes-Haltung der oberen Führung und Schlüsselpersonen im Projekt aus

Und diese Stellschraube existiert in Unternehmen üblicherweise gar nicht.

Auch professionelle HR-Instrumente, mit denen man glaubt, man könne „die Guten“ von „den Schlechten“ unterscheiden, verlieren hier ihre Glaubwürdigkeit. Wenn man bedenkt, dass Menschen von einem Atemzug zum nächsten von einem konstruktiven zu einem destruktiven Zustand verfallen können, ohne sich dessen bewusst zu sein – was nutzt dann ein hochkarätiges Zertifikat in PM oder BWL, wenn der Mensch frustriert über das letzte Cost-Cutting-Projekt ggf. mit verlorenem Vertrauen, Loyalität oder gar Angst, frustriert im Projekt sitzt – und dies, dank Rhetorik-Softskills auch noch hervorragend verbergen kann? Oder wenn Manager, die das Projekt steuern, ihrem Projektleiter sagen, dass sie Probleme gar nicht wissen wollen? Der ultimative Supergau für jedes Projekt ist Politik und Taktik.

Konstruktive bzw. destruktive Geistes-Haltung entsteht also in jeder Sekunde, bei jedem Atemzug neu und entscheidet über destruktive oder konstruktive Wirkung. Weil dieser echte Faktor Mensch völlig ignoriert wird, scheitern so viele Projekte.

Destruktivität kostet ungeheuer viel Kraft. Daher die Frage aus unserer Geistes-Haltungs-Übung 2: „Was kostet Sie immer wiederkehrend Kraft?“ Die in Menschen und Unternehmen über die letzten 20 Jahre aufgeladene destruktive Energie beginnt sich im Moment zu entladen – nach innen in Form von Krankheit und nach außen in Form von steigendem Druck, Chaos und Krisen.

Alle diese Thesen führst du auch in deinem gerade erschienen Buch aus.

Ja. Im Teil 1 geht es um Geistes-Haltung, also darum, was das ist und in welchen Stufen ich sie entwickle. Der Teil 2 ist eine Konfrontationsübung, um in den volkswirtschaftlichen und den betriebswirtschaftlichen Kernprozessen die umfangreichen Potenziale zu erkennen, die existieren, weil der echte Faktor Mensch (seine Geistes-Haltung), also der echte harte Faktor in unserem Wirtschaftssystem völlig ignoriert wird – obwohl er der Generalschlüssel zur Lösung ist.

Was ist der Bezug und die Abgrenzung zum TurnAround-Buch?

Die Geistes-Haltung der Verantwortungsträger ist die Ursache, weshalb Projekte in Schieflage geraten (oder Krisen entstehen). Wir haben immer mehr Krisen und Chaos, weil die Geistes-Haltung über die letzten 20 Jahre kontinuierlich destruktiver (kontraproduktiver) geworden ist. Der Zweck meines ersten Buches zur Gesamtwirtschaft ist eher, die Verantwortungsträger unserer Wirtschaft endlich wachzurütteln (deshalb die Konfrontationsübungen). Der Zweck meines Beitrages im TurnAround-Buch wird weit freundlicher: Projektleiter hängen oft zwischen den Stühlen destruktiver Mühlen (aus z. B. Druck, Taktik, Politik) und können oft gar nichts für die Schieflage, müssen aber (als Sündenbock für andere) im Zweifel den Kopf dafür hinhalten. Meine Absicht ist hier, echte Hilfestellung zu geben. Ich habe selbst 20 Jahre Projekte geleitet und der Ansatz (Geistes-Haltung) hilft direkt in den schwierigsten Momenten des Projekt-Alltags.

Das Buchprojekt geht ganz andere Wege als klassische Sachbuchprojekte. Was inspiriert dich besonders an unserem Buchprojekt?

Das eigene Buch, was jetzt erschienen ist, ist bewusst ganz zen-mäßig schlicht gehalten. Das TurnAround-Buch ist die extrem andere Seite der Fahnenstange: total aufwändig, Faktor 10 von den Kosten, Design bis zum Anschlag, Technik, Kamerateams, Fotografen, Making-of-Video, Social Media – das volle Programm. Am Anfang war mir das alles sehr fremd, aber es fängt an so richtig Spaß zu machen. Da entstehen spannende, neue Inhalte– und wir haben ein Klasse-Team.

Vor neun Jahren habe ich mein Unternehmen gegründet und gedacht: „Auf all dieses Marketing-Gedöns habe ich keine Lust. Also muss ich ein Produkt entwickeln, das vom Nutzen her so gut ist, dass der Markt nicht daran vorbei kommt (also eine Nutzeninnovation).“ Das ging insofern auf, als heute meine Aufträge über Empfehlung kommen. Mit dem Buch habe ich nun ein Produkt, das ganz viel nutzt, und noch eine schöne Präsentation dazu.

Was mich aber an diesem Buchprojekt auch inspiriert ist: Auch Design oder ein Video oder die Arbeit in der Community und in den Workshops mit den Co-Autoren ist eine Nutzeninnovation – etwas, was es so noch nicht gab.