Silvia Schacht ist von Torsten J. Koerting auf unser Buchprojekt aufmerksam gemacht worden. Unser Autor hatte sie gebeten, ihre Forschungsergebnisse zur Relevanz von Wissensmanagement in Projekten mit in das Buch einzubringen. Die Diplom-Wirtschaftsinformatikerin ist seit 2009 Promotionsstudentin am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik IV der Universität Mannheim. Dort forscht sie primär im Bereich Wissensmanagement – mit speziellem Fokus auf die Wiederverwendung von Wissen in Projekten. Sie ist an zahlreichen wissenschaftlichen Projekten beteiligt, deren Ergebnisse in unterschiedlichen Büchern publiziert werden. Zum Beispiel untersucht sie, wie Wissenswiederverwendung helfen kann, Bank IT-Projekte zu meistern. Ein weiteres Themenfeld ist aktuell Gamification in Education and Business. Hier geht es um den Einsatz von Spielemechanismen, um Projektteams zu motivieren, ihre Lessons Learned zu dokumentieren und anderen Projekten zugänglich zu machen.

Erst einmal noch herzlichen Glückwunsch zum Best Paper Award auf der  Konferenz “Design Science Research in Information Systems and Technology“ in Helsinki, den du im Juni verliehen bekamst. Worum ging es in deinem Vortrag? 

In dem Vortrag habe ich Design-Prinzipien für die technologische Gestaltung eines Wissensmanagementsystems vorgestellt. Im Rahmen meiner Forschung zur Wiederverwendung von Wissen in Projekten möchte ich den Bedarf an Systemen für effizientes Wissensmanagement sowohl aus einer technologischen Perspektive als auch aus der sozialen Perspektive beleuchten. Die Veröffentlichung meiner Arbeit aus der technologischen Perspektive wurde entsprechend mit dem Award gewürdigt. Jetzt bin ich intensiv daran, auch die soziale Perspektive zu publizieren, denn meiner Meinung nach macht das einen signifikanten Teil von effizientem Wissensmanagement aus.

Lessons Learned ist ein wichtiges Thema in deiner Promotion– kannst du kurz erläutern, wieso eine Lessons-Learned-Expertin sich für ein Turnaround-Buchprojekt interessiert und engagiert?

In meiner Forschung zu Wissensmanagement und Lessons Learned musste ich immer wieder feststellen, dass gutes Wissensmanagement zwar einige Probleme und Fehler verhindern kann, aber niemals alle. Um für alle Fälle in Projekten gewappnet zu sein, müsste man schon Hellseher sein. Also wird es auch immer wieder passieren, dass Projekte in Schieflage geraten. Die Mitglieder solcher Projekte arbeiten dann meist sehr hart daran, das Projekt wieder auf Kurs zu bringen. Dabei sammeln sie viele wertvolle Erfahrungen, die meiner Meinung nach an andere Projekte weitergegeben werden müssen. Fehler können passieren. Das ist kein Zeichen von Schwäche oder gar Unfähigkeit. Wenn wir aber nicht aus unseren Fehlern lernen, dann ist das dumm.

Wie und was kann man deiner Erkenntnis nach aus Turnarounds in Projekten lernen?

Wichtig ist, dass man versucht die Gründe des Turnarounds zu analysieren und mögliche Präventivmaßnahmen abzuleiten. Das nützt vielleicht dem Projekt, das in Schieflage geraten ist, nicht mehr viel, aber andere Projekte können von diesen Erkenntnissen profitieren und den Turnaround möglicherweise so im Vorfeld vermeiden. Das erfordert natürlich eine Kultur im Unternehmen, die das Eingestehen von Fehlern nicht nur akzeptiert, sondern entsprechend würdigt und fördert. Oft wollen Mitarbeiter in Unternehmen nur ungern zugeben, dass etwas schief gelaufen ist. Sie fürchten entsprechende negative Folgen. Deshalb versuchen sie die Fehler auszumerzen und so gut es geht zu verheimlichen. Das bedeutet aber für das Unternehmen im Allgemeinen und andere Projekte im Speziellen, dass sie aus diesen Fehlern anderer nicht lernen können und später vielleicht in dieselbe Falle tappen.

Kann man mit Lessons Learned Turnarounds verhindern? Welche Tools beziehungsweise welche Herangehensweise haben sich dabei als besonders nützlich erwiesen? 

Wie schon gesagt, alle Eventualitäten kann man mit Lessons Learned nicht abdecken. Man kann mit Lessons Learned Turnarounds im Allgemeinen nicht verhindern. Aber man kann bereits erlebte Turnarounds publik machen und so wenigstens das Risiko solcher Erfahrungen verringern. Dafür muss allerdings das Verständnis des Begriffs „Lessons Learned“ verändert werden. Aus Zeitgründen setzen sich Projektteams oft erst am Ende eines Projektes zusammen und dokumentieren ihre wesentlichen Erkenntnisse. Für mich sind Lessons Learned aber nicht nur Projektabschlussmeetings. Lessons Learned sollten schon zu Beginn eines Projektes durchgeführt und so als Informationsquelle und Teambuilding-Maßnahme genutzt werden. Zu Beginn eines Projektes sollte sich das Team zusammensetzen und von bisherigen Erfahrungen berichten und auf mögliche Stolperstellen hinweisen. Diese Erkenntnisse sollten dann dokumentiert werden und entsprechenden Maßnahmen zur Vermeidung identifiziert werden. Als Abschluss dieser ersten Lessons-Learned-Session bekommt jedes Teammitglied vielleicht noch die Aufgabe, eine der identifizierten Lessons Learned im Auge zu behalten und vor anbahnenden Gefahren zu warnen. Je nach Projektgröße und -komplexität kann dieses Vorgehen dann mehrfach während der Projektlaufzeit durchgeführt werden. Eine weitere Methode, zu der ich gern rate, besteht darin, Berater hinzuzuziehen. Dabei meine ich nicht teure externe Unternehmensberater, sondern Kollegen und Bekannte. Oft haben Projekte ein Vorgängerprojekt. Oder es gibt mehrere Projekte in einem Unternehmen, die ähnlich sind. Projektleiter solcher Vorgängerprojekte oder ähnlicher Projekte können dann als Berater in die erste Lessons-Learned-Session eingeladen werden, ihre Erkenntnisse mit dem neuen Projekt zu teilen.

Ist Lessons Learned ein Methodenset oder eher ein Teil der Unternehmenskultur? Schließlich ist die Idee, aus Fehlern zu lernen, noch nicht Mainstream in Unternehmen, oder doch? Was sind deine Erfahrungen?

Beides. Lessons Learned ist sowohl ein Methodenset als auch ein Teil der Unternehmenskultur. Mit dem Informationszeitalter sind sich Unternehmen verstärkt der Bedeutung von Wissen bewusst geworden. Daher wird die Durchführung von Lessons-Learned-Sessions oft gefördert und vor allem gefordert. Allerdings ist dies auf ein Mindestmaß beschränkt. Viele Unternehmen fordern die Dokumentation von Lessons Learned am Ende eines Projektes. Was daraufhin mit diesen Erkenntnissen passiert, wird dann aber schon nicht mehr weiter verfolgt. Wenn ich dann in einem Unternehmen mein Konzept für Wissensmanagement vorstelle, welches unter anderem vorsieht, dass Lessons Learned bereits zu Beginn des Projektes durchgeführt werden, erhalte ich immer wieder die gleichen Fragen: Wer soll das bezahlen? Wo sollen die Ressourcen dafür hergenommen werden? Auf diese Frage kann ich nur eines antworten: Effektives und effizientes Wissensmanagement erfordert zu Beginn einen hohen Einsatz von Ressourcen. Projektteams müssen die Zeit bekommen, ihr Projekt im Vorfeld auf mögliche Stolperstellen zu analysieren und während der Laufzeit mehrfach zu reflektieren. Dafür empfehle ich immer ein Set unterschiedlicher Methoden, die sowohl spielerisch als auch durch visuelle Veranschaulichung Teams befähigen sollen, ihre wesentlichen Erfahrungen zu artikulieren, in einen Kontext einzuordnen und für potenzielle Nachfolgerprojekte aufzubereiten. Dieser Ressourceneinsatz zahlt sich dann aus, indem eben zum Beispiel auch Fälle von Turnarounds berücksichtigt und vermieden werden.

Aber mit dem Wissensmanagement in Unternehmen ist es wie mit der Einführung von sozialen Netzwerken: Ihr Erfolg und Nutzen in einem Unternehmen ist nicht direkt messbar. Heute weiß man, dass soziale Netzwerke innerhalb von Unternehmen und über die Unternehmensgrenzen hinweg gewinnbringend und nützlich sind, weshalb sie auch verstärkt gefördert werden. Ob aber ein Projekt ohne die Verwendung von Lessons Learned in eine Turnaround-Situation geraten wäre oder nicht, lässt sich kaum erörtern. Somit ist neben der Befähigung der Teams durch methodische Vorgehensweisen auch eine entsprechende Unternehmenskultur erforderlich. Projekten muss genug Zeit für Lessons Learned eingeräumt werden und die Dokumentation von Fehlern muss nicht nur akzeptiert, sondern auch gefördert werden.

Liebe Silvia, vielen Dank für das spannende Gespräch!

 

Links

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